Er malte die weltweit berühmte „Ritze“ auf der Reeperbahn. Die ist dort, wo das Herz von St. Pauli am unanständigsten pocht. Auch sonst veränderten die Bilder von Erwin Ross das Gesicht von Deutschlands nachweislich sündigstem Stadtteil. Und das seit 1962 – da installierte nämlich der Hauselektriker des Vergnügungslokals „Tabu“ auf der Großen Freiheit einen „Musikladen für junge Leute“. Erwins Kunst war gefragt. „Star-Club“ hieß die neue Location, und als Bühnenhintergrund ließ sich Erwin eine Wolkenkratzerskyline einfallen. Mit ihr im Rücken starteten einige Künstler ihre Karriere, manche brachten es zu Weltruhm. Mitunter auf Pump. So soll Ringo Starr Erwin bis heute „einige Märker“ schulden. Den allerersten „Beatles“-Schriftzug, von Erwin aufs Schlagzeug gepinselt, zahlte er nämlich nur an.
Dann kam die sexuelle Revolution, und gegen Ende der Sechziger hatten Aufklärungsonkel Oswalt Kolle, Erotik-Versandfrau Beate Uhse und das Sündenblatt „St. Pauli Nachrichten“ so manche Moral-Bastion überrannt. Nun konnten Erwins „erotische Körperlandschaften“ auch auf offener Straße gezeigt werden. Was heute Heerscharen von Graffitikünstlern leisten, schaffte er damals ganz allein. Seine Spezialität: Pin Ups. Leicht bekleidete Mädels, und die durften durchaus etwas üppigere Proportionen haben. Über dreißig Jahre lang dekorierte der „Rubens von der Reeperbahn“ Clubs, Varietés, Bordelle und Bars mit seinen großflächigen Superfrauen und Traumgirls. Aber auch Promis von Hans Albers über Udo Lindenberg bis hin zu Jan Fedder saßen ihm geduldig Modell, wenngleich nur für Porträts.
Ross sei der Mann mit den meisten Nummern im legendären Bordell „Eros-Center“ gewesen, sagte Willi Bartels, seinerzeit der Immobilienkönig auf dem Hamburger Kiez. In der Tat hat Erwin dort mehrere hundert Zimmernummern auf die Türen gepinselt. Der Spezialist für heiße Rundungen war noch bis ins neue Jahrtausend hinein künstlerisch aktiv: Für die Fernseh-Mehrteiler „Der König von St. Pauli“ schuf er die Werbefiguren, auch eine Serie von Etiketten für das Hamburger Astra-Bier war von ihm.
Erwin hat bis wenige Wochen vor seinem Ende noch täglich gemalt. Bis eine Infektion und Herzprobleme ihm ein Ende machten. Dem Kiezfotografen Günter Zint sagte er ein paar Monate vorher: „Wenn ich mal den Pinsel abgeben muss, dann werde ich auch gleich den Löffel abgeben.“
Nun hat der „Rubens von der Reeperbahn“ den Pinsel für immer zur Seite gelegt.
… Tschüss Erwin! Und Danke! Deine Vicky
Das Vermächtnis von Erwin Ross ist auf dieser Webseite zu sehen: http://www.erwinross.com/gallery2/main.php?g2_itemId=81