Was für ein Skandal, als die Erstausgabe in den Verkauf gelangte – mit einer Auflage von rund 1100 Exemplaren und wahrscheinlich vorwiegend unter dem Ladentisch. Schon zwei Wochen später hatte die Staatsanwaltschaft eine Strafverfolgung eingeleitet – wegen Gotteslästerung und Beleidigung der öffentlichen Moral! Stein des Anstoßes: Les Fleurs du Mal (Die Blumen des Bösen), ein Gedichtband von Charles Baudelaire. Im Verlauf des Prozesses wurde der Schriftsteller wegen „Verhöhnung der öffentlichen Moral und der guten Sitten“ verurteilt und die weitere Veröffentlichung von sechs „anstößigen“ Gedichten verboten.
Wer war dieser Baudelaire? Etwa ein Lustmolch, des nachts nackt mit der Dichterfeder in der Hand unterwegs, um zur Massenkopulation unter Pariser Laternen aufzukitzeln? Ein Sittenstrolch, der in gereimter Form eine Sauerei an die andere reihte? Heute kaum noch nachzuvollziehen solche Anschuldigungen, da es wimmelt von Buchtiteln wie „Feuchtgebiete“ „Die sexuellen Phantasien der Frauen“ oder „Hochgefickt“ (vielleicht habt Ihr hierzu schon den Kommentar von Kira O. in unserer Kolumne gelesen).
Möglicherweise, so ließe sich lästern, war es der Neid auf die Liebesbeziehung Baudelaires zu der dunkelhäutigen Jeanne Duval, warum die Herren Richter den freizüngigen Dichter verurteilten – und anschließend wahrscheinlich schnurstracks ins nächste Bordell eilten.
Heute ruft zum Glück niemand mehr nach dem Staatsanwalt, wenn auf dem Umschlag von „Die Blumen des Bösen“ zu lesen ist: „Die Gedichte Baudelaires entdecken die ästhetische Faszination des Abnormen, Unheimlichen, Verfallenen und den Reiz des Grauens. Sie beschreiben Verzweiflung und sexuelle Besessenheit, die Qual des Schwankens zwischen Geist- und Tiernatur des Menschen.“
Für das Cover wäre man zu Baudelaires Böse-Blumen-Zeiten (1857) wohl im Gefängnis gelandet. Damals ließ die Obrigkeit solcherart Anstößigkeiten in speziellen „Giftkammern“ verschwinden. Nur „Befugte“ hatten Zutritt. Unter ihnen vermutlich auch diejenigen, die „anstößige Gedichte“ per Gerichtsurteil geißelten.
Nun ja, die Zeiten ändern sich und heute sind Museen und Galerien voll von Beweisen, dass öffentliche Moral und heimliche Ausschweifungen schon immer ein seltsames Zwillingsdasein führten. François Boucher und Gustave Courbet, Zeitgenossen des Dichters, haben genau das in ihren Bildern dokumentiert. Dass die größte pornographische Sammlung in der Vatikanischen Bibliothek zu finden ist, soll aber angeblich nur eine weit verbreitete Legende sein.